Tulliver Sheep (Teil 2) - Vom Schaf zum Garn ist es eine lange Reise

Es hört sich immer so einfach an – man nimmt die Wolle von Schafen aus der Umgebung, bevor sie weggeworfen wird, und dann macht man halt einfach Garn draus. Kann ja nicht so schwierig sein. Aber wir haben gelernt, dass das eher eine lange Reise mit mehreren Stationen ist. Jede Station hat ihre eigenen Herausforderungen. Und die Route hängt stark davon ab, welche und wie viel Wolle man hat. In diesem Artikel nehmen wir Dich mit und zeigen Dir, was es alles braucht, um am Ende des Tages (haha… des Tages …seufz) ein schönes Garn in den Händen zu halten.

 Wolle ist ein Naturprodukt. Sie wächst ein ganzes Jahr am Tier und zeigt an, wie es ihm übers Jahr erging. Ob ein Schaf gute Wolle hat oder nicht, hängt wiederum von verschiedenen Faktoren ab und entscheidet sich nicht erst bei der Schur. Unter anderem spielen eine Rolle:

  • Genetik: innerhalb einer Rasse haben manche Tiere bessere Wolle als andere
  • Stelle am Körper: z.B. Bauch und Beine sind oft gröber und kürzer
  • Ernährung: Nährstoffmangel kann sich auf die Wollqualität auswirken („Schafe und Wolle in Europa, ISBN 978-90-824961-3-0)
  • Krankheiten (Ektoparasiten, Fieber, Stress): wenn sich das Schaf schubbert und kratzt, verfilzt die Wolle und ist nicht mehr für die Garnherstellung verwendbar.
  • Haltungsart: bei Stallhaltung kann die Wolle durch schmutziges Stroh unbrauchbar sein, bei Haltung unter freiem Himmel sind oft Kletten in der Wolle, die vor der Verarbeitung entfernt werden müssen.

 Da sich z.B. Ernährung und Gesundheitszustand jederzeit ändern können, kann man sagen, dass es bei Wolle (so wie bei Wein) so etwas wie „Jahrgänge“ geben kann. Durch Verschnitt (d.h. Mischen) verschiedener genau definierter Wollen kann man über die Jahre eine einheitliche Qualität erreichen und anbieten. So wird es im großen Maßstab in der Industrie gemacht. Bei kleineren Mengen, so wie sie hierzulande oftmals bei Nebenerwerbs-Schafhaltern anfallen, ist das nicht möglich. Die Wolle und somit die angebotenen Chargen unterscheiden sich von Jahr zu Jahr etwas. Wie die Wolle aus 2021 wird, werden wir frühestens nächstes Jahr wissen…

Die einzelnen Stationen

 Welchen Weg muss die Wolle nun gehen, wenn man Garn aus ihr herstellen möchte? Im Allgemeinen sind das diese hier (wir gehen weiter unten genauer darauf ein):

  1. Schur und Sortieren
  2. Waschen
  3. Kardieren (oder Kämmen) und Spinnen
  4. Färben

Die Reihenfolge ist eigentlich immer die gleiche (bis auf das Färben, dazu weiter unten mehr). Aber wie sieht das nun im Detail aus? Theoretisch ungefähr so:

Schafschur und Sortieren der Wolle

Ein Mal im Jahr muss ein Schaf geschoren werden, das verlangt auch das Tierschutzgesetz (hier mal ein Urteil  oder auch eine Empfehlung für Schafhalter in Baden-Württemberg). Der Schafhalter bestellt also einen Scherer und, wenn er keinen Stall hat, hofft er auch auf trockenes Wetter. Nasse Schafe kann man nämlich nicht scheren.

Die Schur funktioniert am besten mit einem gut eingespielten Team: Die Tiere müssen vor der Schur in ein vorbereitetes Areal gebracht werden. Es muss jemanden geben, der dem Scherer die Tiere zuführt und wegbringt, und jemanden, der die Wolle wegnimmt und in luftdurchlässigen Säcken verstaut. Idealerweise gibt es sogar jemanden, der jedes Vlies einzeln begutachtet und von grob verschmutzen Teilen befreit, bevor es in die Säcke kommt. In Australien und Neuseeland gibt es dafür eigene Berufe: den wool handler (der die Wolle von schmutzigen Teilen befreit) und den wool sorter (der die Fasern nach Feinheit beurteilt und sortiert).

Wenn in der Herde mehrere Farben vorkommen, müssen die Vliese auch nach Farben sortiert werden, die dann jeweils zusammen verarbeitet werden sollen.

Nicht jede Wolle ist für jede Verarbeitungsart geeignet. Nur die besten Vliesteile mit möglichst einheitlicher Faserlänge können zur Herstellung von Garnen verwendet werden. Unbrauchbare Vliesteile wie z.B. verfilzte Stellen, Kotwolle, Wolle mit Einstreu, Futterresten oder Kletten müssen entfernt werden. Sie eignen sich am besten als Dünger (direkt oder nach der Verarbeitung zu Pellets). Auch Wolle, die deutlich kürzer oder gekräuselter ist als die Flankenwolle (z.B. am Bauch und den Beinen), muss aussortiert werden. Diese Wolle ist eher als Füllstoff oder zum Filzen geeignet.

 

Waschen der Wolle

Die Rohwolle wird im nächsten Schritt gewaschen. Dabei werden Schmutz, Sand, Wollwachs und Wollschweiß entfernt und die Wolle verliert dadurch ungefähr die Hälfte an Gewicht (vgl. „Von Faser, Farben und Fäden“ U. Bogdan 2015, ISBN 978-3-00-048308-0). Im industriellen Maßstab wird die Wolle dabei in mehreren Stufen gereinigt, indem sie durch hintereinanderliegende Bottiche oder Becken geführt wird. Jedes Becken enthält Wasser oder Seifenlösung einer bestimmten Temperatur und dient der Entfernung einer bestimmten Komponente. Beim Übergang von einem zum nächsten Becken wird die Wolle wie in einer Mangel zwischen zwei Walzen ausgedrückt. Marco von Nordwolle hat das mal in einer Instagram-Story gezeigt.

Weil Rohwolle ein tierisches Nebenprodukt ist, muss eine solche Wäscherei auch immer behördlich angemeldet sein und ist strengen Auflagen unterworfen. Zudem ist das Waschen sehr wasserintensiv. Die großen Wäschereien haben daher oft eigene Wasserrückgewinnungsanlagen oder Kläranlagen und führen einen Großteil des Wassers dem Prozess wieder zu.

 

Kardieren und Spinnen

Die gewaschene Wolle wird aufgelockert und anschließend über mehrere großen Walzen („Karden“) geführt, die im Grunde nichts anderes sind als rotierende Hundebürsten. Am Ende ergibt das ein Kardenband. Das Kardenband wird so lange gestreckt (d.h. die Fasern werden auseinandergezogen), bis es ungefähr fingerdick ist. Das nennt sich dann Vorgarn und bereitet die Fasern auf das anschließende Spinnen vor. Auf diese Art hergestellte Garne sind Streichgarne. Streichgarne sind leicht, bauschig und wärmen gut. Es gibt auch noch Kammgarne. Den Unterschied zwischen diesen beiden Spinnverfahren erklären wir in einem anderen Artikel.

Beim Spinnen wird das Vorgarn bzw. der Kammzug weiter vorgezogen und verdreht, damit ein Einzelfaden entsteht. Für Handstrickgarne werden anschließend 2 oder mehr Einzelfäden miteinander in die Gegenrichtung verdreht, um das fertige Garn zu erhalten (daher der Begriff 2ply oder 3ply).

 

Färben

Das Färben der Wolle kann an zwei Stellen geschehen: Entweder „in der Flocke“ - d.h. die ungesponnene Wolle nach dem Waschen - oder nachdem sie zu Garn gesponnen wurde. Beim Färben „in der Flocke“ hat man die Möglichkeit, verschiedene Farben zusammen zu kardieren und so eine Mischfarbe zu erzeugen (funktioniert ähnlich wie mit dem Tuschkasten, gelb und blau ergibt grün). Die so entstehenden Farben sind manchmal lebendiger als solche, die im Garn gefärbt werden. Ein Beispiel dafür sind Tweed-Garne. Und wenn man z.B. verschiedene Grautöne anbieten möchte, ist es einfacher, einen Teil der Wolle schwarz zu färben und dann in verschiedenen Mischverhältnissen schwarze mit weißer Wolle zusammen zu kardieren. Auf diese Weise muss man nur 1x färben, kann aber mehrere Grautöne anbieten.

Unsere ersten kleinen Pilotchargen

Wir hatten von Hobbyhaltern einige Vliese verschiedener Rassen besorgt und schön sortiert. Nun wollten wir damit zunächst kleine Chargen beauftragen, um uns ein Bild von den möglichen Garnen zu machen. Bei unserer Recherche fanden wir nicht zu weit von Berlin, in Niedersachsen, die Kleine Spinnerei (wir haben HIER schon berichtet). Diese Spinnerei arbeitet mit Mini-Mill-Equipment, sie kann 1-20kg Rohwolle verarbeiten und deckt dabei alle Schritte vom Waschen der Wolle bis zum fertigen Garn ab. Das kam uns sehr gelegen, und so packten wir im Oktober 2020 den Kofferraum voll mit sortierter Wolle und machten uns auf den Weg. Wir verbrachten ein paar sehr lehrreiche Stunden in der Spinnerei und beauftragten drei verschiedene Garne.

Was wir lernen konnten:

  1. Es dauert seine Zeit. Von der ersten Schur im Mai 2020 über die Beauftragung im Oktober 2020 und die Lieferung der Garne im Januar 2021 bis zum Verkaufsbeginn im Mai 2021 ist ein gutes Jahr vergangen. Wartezeiten von 9 – 15 Monaten sind bei Mini-Mills aufgrund der sehr hohen Nachfrage keine Seltenheit. Wollten wir aus Vliesen der 2021er Schur dort ein Garn produzieren lassen, wäre es also ca. Ende 2022 produziert und erst 2023 online erhältlich.
  2. Wolle in sauberer Qualität zu bekommen, die auch von Mini-Mill-Spinnereien verarbeitet werden kann, ist nicht einfach. Sie muss sehr sehr sauber und filzfrei sein. Die meisten Schafhalter und Schäfer verstehen unter „super Qualität“ etwas anderes als eine Spinnerei. Die Wollqualität wird zwar bei Herdbuch-Schafen durchaus bewertet, die Kriterien dafür sind jedoch etwas andere als die, die eine Spinnerei ansetzt. Selbst wenn ein Schäfer explizit auf Wollqualität züchtet, kann die Wolle so verschmutzt sein, dass nicht jede Wäscherei sie ausreichend sauber bekommt. Einige Vliese, in die wir große Hoffnungen gesetzt hatten, konnten aufgrund des Verschmutzungsgrades dort nicht verarbeitet werden und wir mussten sie wieder mitnehmen.
  3. Der Verarbeitungsweg über Mini-Mills eignet sich vor allem für die Verarbeitung sehr kleiner Mengen Wolle, wie sie bei Hobbyhaltern mit wenigen Schafen anfallen. Sie ist Deutschland jedoch nur an wenigen Orten möglich. Die Infrastruktur zur Verarbeitung kleinerer Wollmengen in Deutschland ist größtenteils Ende des letzten Jahrhunderts verlorengegangen (z.B. Schließung der Leipziger Wollkämmerei im Jahre 1990, Schließung des Bremer Wollkontors 2009.
  4. Die Verarbeitung in Mini-Mills ist vergleichsweise teuer und somit nicht wirklich rentabel. Grund dafür sind die kleinen Mengen, die pro Zeit verarbeitet werden können und die geringen Ausbeuten. Die Maschinen sortieren viele Fasern aus oder können sie nicht verarbeiten. Die erste Charge Tulliver Sheep, das Milchschaf-Garn, wurde auf einer solchen Anlage verarbeitet. Die Ausbeute (bezogen auf das Vliesgewicht) betrug hier nur ca. 40%.

 Das muss doch auch anders gehen – Verarbeitung großer Mengen

So richtig wirtschaftlich wird die Garnherstellung aber eigentlich erst, wenn man große Mengen verarbeiten lässt. "Große Mengen“ bedeutet alles ab 500kg Rohwolle. Dafür bekommt man aber nicht mehr den ganzen Service aus einer Hand, sondern man muss jede Station einzeln organisieren. Man beauftragt eine Spedition, die die Rohwolle zur Wäscherei und anschließend die gewaschene Wolle von der Wäscherei in die Spinnerei transportiert. Eine „Pilotcharge“ in dieser Größenordnung kostet schnell mal einen fünfstelligen Betrag. Und ähnlich wie bei einem Hausbau muss alles aufeinander abgestimmt werden: die Qualität, die die Wäscherei an die Spinnerei liefert, muss dort auch verarbeitbar sein. Das ist leider nicht immer der Fall. Außerdem muss man dann berücksichtigen, dass es für jede Station wieder Wartezeiten gibt und man mit so kleinen Mengen wie 500kg gerne mal irgendwo dazwischengeschoben wird.

 

Wir machten uns also auf die Suche nach Schafherden, die genügend Rohwolle bringen würden, um auf die 500kg Mindestmenge zu kommen. Das war gar nicht so leicht, denn die Schäferei lohnt sich nicht mehr und viele hauptberufliche Schäfer geben auf. In Berlin und Brandenburg gibt es nicht mehr so viele große Herden mit Schafrassen, die ein aufregendes Garn geben würden. Hinzu kommt, dass in diesen Mengen schon allein die Schur und das Sortieren der Wolle zu einem nicht zu unterschätzenden Aufwand werden. Das Wissen um das richtige Sortieren existiert nur noch vereinzelt und ist nicht mehr Schwerpunkt bei der Schur – allein zu diesem Thema könnten wir einen eigenen Beitrag schreiben.

Wir konnten so zwar Kontakt zu einem Schäfer aus der Umgebung aufnehmen, aber allein der nächste Schritt – das Ausfindigmachen einer Spedition, die ein tierisches Nebenprodukt in ungenormten, nicht stapelbaren Säcken transportiert – ist eine echte Herausforderung und kostet, wie man so schön sagt, einen Arm und ein Bein.

Was also tun? Da hilft eigentlich nur, Kräfte zu bündeln. Wir nahmen Kontakt zu elbwolle auf, die bereits seit vielen Jahren die Wolle lokaler Schafe in großem Maßstab zu Garnen verarbeiten lässt. So ergab es sich, dass wir einen Teil einer Charge abnehmen konnten, der gerade geschoren und so gut wie auf dem Weg in die Wäscherei war. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen und wird im nächsten Teil der Serie vorgestellt.

Was wir lernen konnten:

  1. Garnherstellung, die auch für Handfärber wirklich rentabel ist, ist nur mit großen Mengen Wolle möglich (ab 1t Rohwolle). In diesen Größenordnungen ist es besonders schwierig, Wolle von geeigneter Feinheit und Länge zu finden, denn es gibt nicht mehr viele große Herden mit geeigneter Wollqualität. Immer mehr Berufsschäfer geben ihren Beruf auf, weil sich die Schäferei nicht mehr lohnt. Im Jahr 2019 gab es in Brandenburg insgesamt 294 erfasste Schafhalter. Nur 8 von ihnen hatten mehr als 1000 Schafe, 51 hielten zwischen 301 und 1000 Schafen (Quelle: Tab. 6.2 im Tierzuchtreport Berichtsjahr 2019, Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung, Mai 2020).
  2. Was im kleinen Maßstab gut funktioniert (wie z.B. das Sortieren oder Transportieren der Wolle) ist im großen Maßstab schwieriger, aufwändiger und benötigt deutlich mehr Koordination. Wolle hat Volumen: 15 kg sind ein großer Bettbezug voll. Für 500kg braucht man schon einen ganz großen Sprinter. Ein Wollsack (Big Bag) wiegt 50kg, und den bekommt man nicht mehr so einfach in den Transporter gehoben.
  3. Die Infrastruktur für die Verarbeitung lokaler Schafwolle ist nur noch lückenhaft in Europa vorhanden. In Deutschland existiert keine Wollwäscherei für große Mengen Wolle, die nächsten Betriebe sind in Belgien bzw. Polen.

Kann man nicht auch mittlere Mengen verarbeiten lassen?

Wenn die Mini-Mills also zu teuer und die großen Mengen zu aufwändig sind, dann müsste man doch auch mittlere Mengen verarbeiten können…? Das würde sich doch dann in dem Bereich bewegen, der für die meisten Hobbyschafhalter relevant ist?

Es gibt einen Familienbetrieb in Deutschland, der ab ca. 20 kg Rohwolle verarbeitet. Das wollen wir ausprobieren und dort ein ganz besonderes Garn herstellen lassen. Die Komplette Schur einer Hobbyhalterin wog nach dem Vorsortieren ca. 15 kg und passte in einen Bettbezug. Es reicht also noch nicht ganz für die Beauftragung dieser Spinnerei. Glücklicherweise konnten wir eine weitere kleine Herde ausfindig machen und die Wolle ankaufen. Im Augenblick sortieren wir uns noch durch die Wolle. So: Keep your eyes peeled 😊